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Schopenhauer und Buddhismus

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 Nagarjuna und  die

Zweite Drehung des Rades

Der Buddhismus ist keine in Dogmen erstarrte Lehre, sondern eine Religion, die sich in den Jahrhunderten nach Buddha spirituell weiter entfaltete. Das Rad der Lehre blieb in Bewegung. So kam es dann zu einer Zweiten Drehung des Rades, die mit dem Namen eines der bedeutendsten indischen Philosophen verbunden ist: Nagarjuna.   

Über Nagarjuna, der etwa 2./3. Jh. lebte, gibt es nur wenige Daten, die verläßlich sind. Auch ist nicht sicher, ob er tatsächlich der Verfasser jedes der vielen Werke, die ihm zugeschrieben werden, gewesen war.   Fest steht jedoch, daß er zu den  wichtigsten Begründern des Mittleren Weges (Madhyamika) gehörte.  Die Madhyamika-Schule  ist eine der bedeutendsten Richtungen des Mahayana-Buddhismus.

Durch das Mahayana , das heißt Großes Fahrzeug, wurde die alte buddhistische Lehre vertieft und erheblich erweitert: Im alten Buddhismus stand das Leben als Mönch und dessen  Streben nach eigener Erlösung im Mittelpunkt. Weit mehr als es vorher der Fall war, öffnete sich das Mahayana allen Menschen, also auch denen, die keine Mönche waren. Das Ideal wurde der Bodhisattva -  ein Erleuchteter, der auf die eigene Erlösung, das Eingehen in das vollständige Nirwana verzichtet, um voller Mitgefühl allen leidenden Wesen dieser Welt zu helfen, ihre Erlösung zu erreichen. Damit wurde im Mahayana die Ethik auf eine höhere Stufe gehoben, denn das Streben nur nach eigener Erlösung galt nunmehr als zu eng und egoistisch. Diese Aufassung steht in völliger Übereinstimmung mit der Meinung Schopenhauers, nach der wahre Ethik allein auf Mitleid beruht und gänzlich frei von Egoismus sein muß ( > Arthur Schopenhauer : Miteid - Mitleidsethik ) . 

Nagarjuna und die von ihm begründete Madyamika-Schule des Mahayana-Buddhimus vertieften mit nicht zu überbietender Konsequenz die buddhistische Anatta-Lehre:  Nagarjuna ging davon aus, daß alles, was wir in dieser Welt wahrnehmen, unbeständig ist und nichts unabhängig voneinander existiert. Daher ist alles ohne ein eigenes Selbst, also - wie schon der Buddha erkannte - Anatta. Alle Eigenschaften, die wir z. B. einem Gegenstand zuordnen, sind nicht für sich absolut, sondern relativ, weil sie nur durch ihr Gegenteil zu verstehen sind. So kann eine Sache nur dann als “kurz” bezeichnet werden, wenn es auch eine andere Sache gibt, die im Verhältnis zu ihr “lang” ist. Da alles “leer”  von einer Selbstheit ist, ergibt sich daraus für Nagarjuna die Konsequenz , daß die “Leere” (Shunyata) das wahre  Kennzeichen dieser Welt ist.

Shunyata ist für den “Uneingeweihten” äußerst schwer verständlich und wird daher auch oft mißverstanden. Warnend weist das “Lexikon der östlichen Weisheitslehren” (Ausg. 1986, S. 352) darauf hin: “ Aus dieser Auffassung der Leerheit alles Seienden darf man allerdings nicht auf einen bloßen Nihilismus schließen: Sie bedeutet nicht, daß die Dinge nicht existieren, sondern nur, daß sie nichts als Erscheinungen darstellen.” 

  So ist in der Mystik unter Leere keineswegs ein bedeutungsloses Nichts, das ohne jeden Wert ist, zu verstehen, denn:

    Dreissig Speichen treffen die Nabe /
              Die Leere dazwischen macht das Rad.
              Lehm formt der Töpfer zu Gefäßen /
              Das Leere darinnen macht das Gefäß.
              Fenster und Türen bricht man in Mauern /
              Die Leere damitten macht die Behausung.
              Das Sichtbare bildet die Form eines Werkes.
              Das Nicht-Sichtbare macht seinen Wert aus.

    (Laotse: Tao te king, Kap. 11,
              Übers. Walter Jarven, 5. Aufl. 1981)

Die Leere, “Shunyata”, so schreibt von Glasenapp, “ ist das einzige einheitliche Prinzip, zu welchem eine konsequente relativistische Philosophie gelangen kann. Das alles in sich begreifende Eine, in welchem das kosmische Schauspiel vor sich geht, das Einzige , das nach Abzug alles Vergänglichen und Relativen übrig bleibt, ist vom Standpunkt des weltlichen Denkens aus gesehen ein “bares Nichts”. Es enthält kein einziges Element, das zum Aufbau der Erscheinungswelt dienen könnte, und kann deshalb nur negativ charakterisiert werden. Da es jedoch aussschließlich durch seinen Gegensatz zur vergänglichen, illusorischen Welt der Erscheinungen bestimmt werden kann, ist es nur ein relatives Nichts. Sein wahres Wesen ist unfaßbar, es ist eine “Dasheit”, der sich weder Sein noch Nichtssein, weder beides noch keines von beiden zuschreiben läßt.”
(Helmuth von Glasenapp, Die Weisheit des Buddha, o. J., S. 193 f.)

Mehr als 2000 Jahre später kam ein Philosoph, wenn auch auf einem anderen Wege, zur gleichen Erkenntnis: Arthur Schopenhauer. Schon deshalb kann man dessen Philosophie nur Bewunderung entgegenbringen. Die Philosophie Schopenhauers kann durchaus ein Schlüssel sein zu einem besseren Verständnis der tiefen Mystik des Nagarjuna und des Mahayana-Buddhismus.

Schopenhauer lernte den Buddhismus zuerst in der Form des Mahayana kennen. Für ihn war das ein beglückendes Erlebnis, denn endlich fand er eine  Religion, die mit seiner Philosophie übereinstimmte und zu der er sich bekennen konnte.  Es war die Zweite Drehung des Rades, die dazu führte, daß die buddhistische Lehre zwei Jahrtausende später in geradezu erstaunlichem Maße mit der Philosphie Schopenhauers übereinstimmte. Vor allem Nagarjuna war es zu verdanken, daß sich das Rad der Lehre zum zweiten Mal drehte und bis heute in Bewegung blieb. In der Tradition des Zen gilt er als dessen 14. indischer Patriarch. So wurde Nagarjuna Wegbereiter einer spirituellen Überlieferung, die bis in unsere Gegenwart fortbesteht.
                                                                                                     

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> Das Lankavatara-Sutra des Mahayana-Buddhismus

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