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Georg Grimm

Georg Grimm

Ein Lebensweg

 vom Christentum über Schopenhauer zum Buddha

Georg Grimm (1868-1945), Gründer der Altbuddhistischen Gemeinde, war einer der bedeutendsten buddhistischen Persönlichkeiten in Deutschland. Sein Lebensweg ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel, wie die Begegnung mit der Philosophie Arthur Schopenhauers und der Lehre des Buddha das Leben eines Menschen grundlegend ändern und dauerhaft prägen kann:

In einer Veröffentlichung, die von  der Altbuddhistischen  Gemeinde  in Utting  herausgegeben  wurde, zitierte deren Ältester Max Hoppe (Br. Dhammapalo) aus einem autobiografischen Bericht Georg Grimms:

"Mein Vater war ein kleiner Dorfschmied in Rollhofen bei Lauf an der Pegnitz, unfern Nürnberg. Inmitten von Anhöhen und Hügeln, idyllisch im Fränkischen Jura eingebettet, liegt das kleine Dorf, in dem mein Elternhaus zu den schönsten Anwesen gehörte.

Meine beiden Eltern waren überaus fromm, und als ich am 25.Februar 1868 das Licht der Welt erblickte, war es für beide selbstverständlich, dass ich, als ihr ältester Sohn, dereinst die elterliche Schmiede übernehmen würde. Bald aber zeichnete sich auf meinem kindlichen Schädel deutlich eine regelrechte Tonsur ab, die von Jahr zu Jahr ausgeprägter wurde. Für meine frommen Eltern war das ein sichtbarer Fingerzeig Gottes; ihr ältester Sohn war zum Priester bestimmt.

So kam ich denn auch später in das Priesterseminar nach Eichstädt. Damit aber hatte mein Leben die entscheidende Richtung genommen. Die religiösen Probleme traten mehr und mehr für mich in den Vordergrund. So sehr ich mich aber auch mühte, die christlichen Dogmen als ein Gegebenes hinzunehmen, so gewannen doch die aufsteigenden Zweifel mehr und mehr die Vorherrschaft, und es kam der Tag, wo es mir einfach unmöglich geworden war, an einen persönlichen Gott zu glauben, der zugleich allmächtig, allwissend und allgütig sein sollte. .

Georg Grimm im Priesterseminar

<  Georg Grimm im Priesterseminar

Die niederen Weihen hatte ich schon erhalten, und ich stand kurz vor der letzten Weihe. In meiner zunehmenden Gewissensnot gestand ich meinem Unterweiser die mich peinigenden Zweifel und sprach von meinem Entschluss, nicht Priester werden zu wollen. 'Wenn Sie sich nicht berufen fühlen, so machen Sie sich berufen', war die lakonische Antwort meines Lehrers. Eine Berufung aber, die gar nicht da war, auf dieser Basis zu erzielen, musste ich ablehnen.

Obwohl ich nun ein bettelarmer Student war - meine Eltern verwiesen mir auf Grund des Abbruches des Theologiestudiums das Haus - sattelte ich zur Jurisprudenz über.”(1)

Diese Schilderung Georg Grimms, wie er sich während seiner Zeit im Priesterseminar vom Christentum entfernte, so dass er deswegen seine Ausbildung zum katholischen Priester abbrach und sogar deswegen aus dem Elternhaus verwiesen wurde, ergänzte Max Hoppe (Br. Dhammapalo), der Verfasser der Grimm-Biografie:

“Zum Glück fand der Jura-Student [also Georg Grimm] gute Häuser, in denen er den Sprösslingen Nachhilfeunterricht erteilen konnte. Es war eine harte Zeit für ihn, obendrein litt er unter dem gestörten Verhältnis zu seinen Eltern. Die Enttäuschung war  zu groß, in ihm nicht einen Priester sehen zu dürfen. Schliesslich aber kam es doch wieder zur Versöhnung. Seine Mutter verlor er bereits mit 30 Jahren, auf den Vater, der im Alter von 80 Jahren starb, gewann er weltanschaulichen Einfluss. Vor allen Dingen beeindruckte den Vater die sich auf alle Wesen erstreckende Liebe der Buddhalehre, so dass auch er nicht einmal ein Insekt mehr tötete.”(2)

Nach dem Abschluss seiner juristischen  Ausbildung wurde Grimm Rechtsanwalt und danach Richter. Er heiratete 1898 und wurde ein Jahr danach Vater einer Tochter, die später als Schw. Maya das geistige Leben der Altbuddhistische Gemeinde entscheidend mitprägte. Ihr Vater blieb zeitlebens ihr großes Vorbild. So übernahm sie zum Beispiel  dessen - wie es in der Max Hoppes Grimm-Biografie heißt - “übergroße Tierliebe” (3).

Eine positive Einstellung zu Tieren kommt auch immer wieder in Schopenhauers Schriften zum Ausdruck, ja sie findet dort durch ihre Einbeziehung in eine allumfassende Mitleidsethik eine metaphysisch sehr tiefe Begründung. Im Zuammenhang mit Arthur Schopenhauer ist aufschlussreich, was Georg Grimms Tochter aus ihrem Elternhaus berichtete:

"Ehevor die Lehre des Siegreich-Vollendeten in meinem Elternhaus ihren Einzug hielt, war es der Geist eines Mannes. dem meine kindlich-ehrfürchtige Bewunderung galt: Arthur Schopenhauer. Sein Bild hing über dem Schreibtisch meines Vaters und ich wusste, dass er in ihm seinen grossen Lehrmeister sah.

Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, so staune ich über die Virtuosität, mit der es mein Vater verstand, mich, ein siebenjähriges Kind, Schopenhauer lieben zu lehren. Wie oft schilderte er mir während unserer gemeinsamen Spaziergänge an kleinen Beispielen die bedingungslose Wahrheitsliebe dieses Philosophen und sein grenzenloses Staunen- und Verwundernkönnen über scheinbar nebensächliche Dinge. Er pries mir seine Urteilskraft, seinen Ideenreichtum und die Lauterkeit und Unbestechlichkeit seines Wesens. Bald wusste ich um so manche Anekdote, die sich um den grossen Philosophen gebildet hatte. Ab und zu las er mir auch aus seinem Leben vor und manches Mal lagen die Aphorismen zur Lebensweisheit auf unserem Tisch."(4)

Wie erwähnt, brach Georg Grimm sein Theologiestudium wegen Zweifel am christlichen Glauben ab. Seine Einwendungen gegen die christliche Lehre  begründete er ausführlich in seinem Hauptwerk, das erstmals 1915 und 42 Jahre später in 15. Auflage unter dem Titel Die Lehre des Buddho. Die Religion der Vernunft und der Meditation erschien. Dort heißt es:

“Speziell die christliche Lehre von der persönlichen Fortdauer in einem ewigen Himmel oder in einer ewigen Hölle hat den Glauben an einen persönlichen Gott zur Voraussetzung  und führt im Verein mit diesem Dogma zu geradezu ungeheuerlichen Widersprüchen. Wie kann ein menschliches Erkenntnisvermögen den Gedanken fassen, dass ein Gott, der doch der Inbegriff vereinter Allgüte, Allweisheit und Allmacht sein soll, Wesen schafft, von denen er voraussieht, daß sie in ihrer Überzahl - ´Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt`- der ewigen Verdammnis in einer Hölle anheimfallen werden! [...]

Was würde man von einem natürlichen Vater sagen, der sein Kind in die Welt hinausschickt oder es auch schon zeugt in der bestimmten Voraussicht, daß es später ´freiwillig` ein mit lebenslänglichem Zuchthaus zu bestrafendes Verbrechen begehen und zeitlebens in tiefster Verachtung dahinbrüten wird! 

Was wäre aber ein solches Unterfangen im Vergleiche mit jenem anderen, ein Wesen ins Dasein zu setzten, ja die allermeisten Wesen ins Dasein zu setzten, damit die einen, nämlich die Tiere, die keinen freien Willen haben, also zugestandenermaßen schuldlos und ohne jede Aussicht auf Entschädigung - denn sie ja nach dieser Lehre nicht unsterblich - ein Leben in Schrecken und der Angst führen [...]!

Muß nicht das Erkenntnisvermögen erst noch geschaffen werden, das einen solchen  Gedanken auszuhalten vermag, ganz abgesehen davon, daß es doch an sich schon schlechterdings gegen alle Denkgesetze verstößt, für die Schuld eines armseligen, endlichen Wesens und damit für eine selbst beschränkte unendliche Schuld eine unendliche Strafe eintreten zu lassen?

Und dann, wie Schopenhauer so richtig bemerkt (1): Ist es faßbar, daß der Gott, welcher Nachsicht und Vergebung jeder Schuld vorschreibt, selbst keine übt, sondern noch nach dem Tode ewige Bestrafung eintreten läßt?”(5)

Es dürfte somit verständlich sein, wenn Georg Grimm sich vom Christentum ab- und der Philosophie Schopenhauers zuwandte. Jedoch führte ihn sein Lebensweg dann über Schopenhauer hinaus:

“Vorbereitet durch das gründliche Studium der Schriften Arthur Schopenhauers”, so schrieb Max Hoppe in seiner oben erwähnten Grimm-Biografie (S. 9), erhielt er [Georg Grimm] von seiner einfühlsamen Frau zu seinem 40. Geburtstag am 25. Februar 1908 die Übersetzungen der Mittleren Sammlung [der Reden des Buddha] geschenkt. Ihr Studium beeindruckte ihn gleich sehr. Es zeigte sich ihm hier der Ausweg aus den Fluten des blinden, wilden Willensdranges, nach dem Schopenhauer nur sehnsüchtig Ausschau halten konnte.”(6)

Es sei hierzu angemerkt, dass Arthur Schopenhauer durchaus den Ausweg “aus den Fluten des blinden, wilden Willensdranges” sah, denn seine Philosophie enthält mit der Möglichkeit der “Willensverneinung” auch die Aussicht auf Erlösung, ja mehr noch: sie ist in ihrem Kern eine zutiefst metaphysisch fundierte Erlösungslehre. Sie beinhaltet allerdings nicht - wie die Lehre des Buddha - eine Selbsterlösung, denn diese würde Willensfreiheit voraussetzen, die Schopenhauer verneinte. Vielmehr ging er - wie die von ihm überaus geschätzten altindischen Upanishaden - von einer “Gnadenwirkung” aus.(7)

Jedoch darf nun nicht gefolgert werden, dass Georg Grimm die Philosophie Arthur Schopenhauers gänzlich ablehnte. So wies Grimm zwar auf den “prinzipiellen Unterschied der Lehre des Buddho von der Philosophie Schopenhauers” hin, betonte aber zugleich deren “Verwandtschaft” und “die staunenswerte Übereinstimmung zwischen den beiden Großen“, also zwischen Schopenhauer und dem Buddha.(8)

Während sich Grimm mehr der Lehre des Buddha zuwandte, blieb er zugleich Schopenhauer nach wie vor eng verbunden. So unterzeichnete er 1911 einen Aufruf zur Gründung der Schopenhauer-Gesellschaft. Dieser Gesellschaft gehörte noch 75 Jahre  danach die von Georg Grimm gegründete Altbuddhistische Gemeinde an.(9). Die Gemeinde, welche nach dem Tod ihres Gründers (1945) ihre Arbeit ganz in dessen Sinne fortsetzte, zeigte hierdurch - wie auch in vielen ihrer Veröffentlichungen - ihre große Wertschätzung für Arthur Schopenhauer und dessen Philosophie, was übrigens der Verfasser dieses Beitrages (H.B.)  bei seinen Besuchen der Gemeinde eindrucksvoll erleben konnte.(10).

Georg Grimm : Grabstein

Georg Grimm starb 1945. Sein Grabstein (s. o.) zeigt das buddhistische Rad der Lehre (Dharma-Chakra). Dessen acht Speichen symbolisieren den Edlen Achtfachen Pfad der Edlen Vier Wahrheiten des Buddha.

Unterhalb steht ein Spruch aus den altbuddhistischen Texten
          (Suttanipata 208):

Dieser große Seher
hat den Zustand
des Friedens geschaut.

Das obige Bild ist aus der Webseite Die Lehre des Buddho im Werk von Georg Grimm. Sie ist ein Zeichen dafür, dass, obwohl die von Georg Grimm gegründete Altbuddhistische Gemeinde 2002 leider aufgelöst wurde, das Werk ihres Gründers fortbesteht. Möge hierzu auch die obige Darstellung zum Leben und Werk des großen Sehers ihren Beitrag leisten.

Anmerkungen

(1) Max Hoppe : Georg Grimm , Sonderdruck aus YANA, Zeitschrift für Buddhismus und religiöse Kultur auf buddhistischer Grundlage, hrsg.von der Altbuddhistischen Gemeinde e. V., Utting am Ammersee,
Jg. 1973, Heft 1, S. 6.

(2) Max Hoppe , a. a. O., S. 7.

(3) Max Hoppe , a. a. O., S. 3.

(4) Max Hoppe , a. a. O., S. 5.

(5) Georg Grimm , Die Lehre des Buddho.  Die Religion der Vernunft und der Meditation. Hrsg. v. M. Keller-Grimm [Schw. Maya] und Max Hoppe [Br. Dhammapalo], Wiesbaden 1979, S. 83 f.
Zu Grimms Hinweis auf Schopenhauers kritischer Bemerkung über das Christentum s. Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band X, Parerga und Paralipomena II,
§ 177: Ueber das Christenthum, Zürich 1977, S. 402 f.

(6) Max Hoppe , a. a. O., S.9.

(7) S. dazu Arthur Schopenhauer  > Gnade und > Erlösung.    

(8) S. dazu ausführlich: Georg Grimm , a. a. O., Anhang II. 4. , S. 409 ff.
Auf die zur Vertiefung des vorliegenden Themas dort sehr
 aufschlussreichen Ausführungen sei hier besonders vewiesen. 

(9) Laut Mitgliederverzeichnis der Schopenhauer-Gesellschaft
in : Schopenhauer-Jahrbuch, hrsg. von der Schopenhauer-Gesellschaft,
67. Band, Frankfurt am Main 1986, S. 296.

(10) Weiteres s. Die Altbuddhistische Gemeinde und Arthur Schopenhauer
        - Persönliche Erfahrungen von Herbert Becker
> hier

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