Schopenhauer-Buddhismus : Enso
Schopenhauer und Buddhismus

Okkultismus und Schopenhauers Philosophie

   Das Thema “Magie” war für Schopenhauer so wichtig, daß er hierauf in einem besonderen Kapitel, nämlich  “Animalischer Magnetismus und  Magie”, ausführlich einging. Dort weist er auf “die Beharrlichkeit” hin, “ mit welcher ... überall und jederzeit die Menschheit den Gedanken der Magie verfolgt hat”. Er schloß daraus, “daß er (der Gedanke an Magie) einen tiefen Grund, wenigstens in der Natur des Menschen, wenn nicht der Dinge überhaupt, haben müsse, nicht aber eine willkürliche ersonnene Grille seyn könne”.

Vor allem die “schwarze” Magie,  von der man glaubte und immer noch glaubt, sie könne anderen Menschen  schaden ( etwa durch Verfluchungen, den “bösen Blick” und dergleichen), war und ist gefürchtet. In vielen Kulturen stand hierauf die Todesstrafe. Bis zur Aufklärung war im christlichen Abendland Magie, die nicht im Rahmen kirchlicher Rituale ausgeübt wurde, strengstenst verboten. Jede andere Form von Magie war nur im Geheimen möglich.

Auch heute noch ist Magie etwas Geheimes, weil ihre Wirkungs- zusammenhänge, zumindest für Außenstehende, nicht erkennbar sind. Dem “aufgeklärten” Menschen, der eine naturwissenschaftliche Erklärung verlangt, gilt Magie als anrüchig, als unseriös. Deshalb bleibt Magie häufig im Verborgenen. Im Verborgenen ist auch der Okkultismus, wobei Magie und Okkultismus in so engem Zusammenhang stehen, daß sie oft kaum voneinander zu unterscheiden sind.

“Okkultismus”, abgeleitet von lateinisch “occultum”, das heißt “das Verborgene”, bedeutete ursprünglich “die Beschäftigung mit den  vires occultae, den verborgenen oder geheimen Kräften, die in der Welt und im Menschen wirken und der sinnlichen Wahrnehmung nicht zugänglich sind” (Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 2. Aufl. 1955, S.442). Es sind wohl diese verborgenen und geheimen Kräfte, die es vermögen, den Menschen in seinem Innersten derart zu verändern, wie es auf anderem Wege nicht möglich ist. Hierzu gibt es aus dem Schamanismus und dem mit ihm verwandten Tantra überzeugende Belege.

Eine andere, philosophisch tiefere Deutung erklärt Okkultismus als die Gesamtheit “von Lehren und Verfahren, deren Grundlage der Glaube ist, daß alle Dinge zu einem einzigen Insgesamt gehören und zueinander in notwendigen, zielgerichteten Beziehungen stehen, die weder zeitlich noch räumlich sind” (Philosophisches Lexikon, 21. Aufl.1982, S. 502). Eine solche Erklärung kommt der Philosophie Schopenhauers nahe, weil sie von einer  monistischen Weltsicht ausgeht, also von einer Erkenntnis, die sich vereinfacht vielleicht so zusammenfassen läßt: Eines in allem, alles in Einem.

Okkulte Phänomene - so geheimnisvoll sie auch sein mögen - an ihrer Existenz dürften kaum Zweifel bestehen. Sie werden bereits im Rahmen des Lehrfaches “Parapsychologie” an der Universität erforscht. Soweit sich ihre Ursachen und Wirkungszusammenhänge naturwissenschaftlich nicht eindeutig erklären lassen, gehören diese Phänomene  nicht in den Bereich der Naturwissen- schaften, der Physik, sondern gehen darüber hinaus, sie sind deshalb der Metaphysik zuzuordnen. Okkulte Phänomene - wie zum Beispiel Hellsehen oder Prophetie - sind dann nur metaphysisch zu deuten. Die Schopenhauersche Philosophie bietet eine solche metaphysische Deutung:

Nach Schopenhauer beruht der Glaube an die Magie darauf, “daß es noch eine andere Art giebt auf die Dinge zu wirken, als der gewöhnliche Kausalnexus, nämlich ein Wirken von innen”.  In Wagners “Schopenhauer-Register” wird darauf hingewiesen, daß die Magie - und das gilt auch für die okkulten Phänomene - ein starker empirischer Beleg  der Lehre Schopenhauers ist. Denn, so Wagner, “allen Versuchen zur Magie liegt eine Anticipation der Metaphysik Schopenhauers zum Grunde”. Schopenhauers Metaphysik gehe davon aus, daß ein unmittelbares Wirken auf die Natur möglich sei. Diese Wirkung komme aus dem Innersten der Natur. Die Kraft, die das bewirkt, ist nur metaphysich zu verstehen. Schopenhauer gab ihr einen Namen: “Wille”. Der Wille manifestiert sich in allen Erscheinungen dieser Welt und so auch in der Magie und im Okkultismus.

“Der Weg der magischen Wirkung”, so erklärt Schopenhauer, “ist der Weg durch das Ding an sich”. “Das Ding an sich” war für Schopenhauer “der Wille”. Demnach sind auch die wissenschaftlich nicht faßbaren (okkulten) Phänomene letztlich auf einen metaphysichen “Willen” zurückzuführen. Diese Begründung mag diejenigen, die sich allein an der “reinen Vernunft” im Sinne Kants orientieren, nicht befriedigen. Wer jedoch diese Grenze, etwa in der Meditation, überschritten und die Welt als “Wille und Vorstellung” erkannt hat, findet in der Philosophie Schopenhauers eine durchaus überzeugende Deutung von Magie und Okkultismus. Daher wird mit Recht in Helmut Werners “Lexikon der Esoterik” (1. Aufl. 1991, S.597) darauf hingewiesen, daß der moderne Okkultismus Schopenhauer “sehr viel” verdanke.

Okkultismus wurde inzwischen unter der Bezeichnung “Parapsychologie” sogar zu einem Forschungsbereich an der Universität in Freiburg im Breisgau. Professor Hans Bender, der dort dieses Fach begründete und leitete, hielt im Rahmen der “Frankfurter Vorträge” der Schopenhauer-Gesellschaft einen Vortrag über “Telepathie und Hellsehen als wissenschaftliche Grenzfrage”. Gleich zu Beginn seines Vortrages, der im “Schopenhauer-Jahrbuch” (1967) veröffentlicht wurde, hob Bender hervor, daß “einige wenig bekannte und allzulange geradezu beflissentlich verschwiegene Abhandlungen Schopenhauers in unübertroffener Klarheit die Probleme zur Diskussion stellen, die uns heute in der parapsychologischen Forschung bewegen.”  Auch hieran wird erneut deutlich, daß Schopenhauer weit tiefer blickte als sich seine Kritiker vorstellen können.     

Okkultismus und Mystik - beide haben die gleiche Grundlage: die Einheit, die letztlich hinter aller scheinbarer Vielheit unserer Welt steht. Dieses ist die Erkenntnis, die der Philosophie Schopenhauers zugrunde liegt, und die Schopenhauer vielleicht nicht mit der Universitätsphilosophie, wohl aber mit den östlichen Weisheitslehren über Jahrtausende hinweg verbindet. 
                                                                                                                 H.B.