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Warum Schopenhauer?

Wer mit offenen Augen durch die Welt geht und mitfühlend mit Mensch und Tier ist, dem wird bald sehr deutlich, daß unsere Welt nicht nur ein Ort von Freude und Lust ist, sondern durchaus auch ein  “irdisches Jammertal”, ein “Tal der Tränen” sein kann. Für den Buddha war das Leid eines der zentralen Merkmale unseres Daseins. Mit dieser Erkenntnis stand der Buddha nicht allein, sondern zu dieser Einsicht kamen wohl alle, die tiefer in die Welt geschaut haben.

Schicksalsschläge, die furchtbares Leid mit sich bringen, können jeden von uns treffen. Die Leidhaftigkeit der Welt bleibt dann für uns nicht bloß irgendeine philosophische Wahrheit, sondern sie wird zu einer sehr persönlichen und unmittelbaren Erfahrung und mitunter so schmerzhaft, daß sie kaum noch erträglich ist. Die Spaßgesellschaft, die im Grunde nur Verdrängung bedeutet, kann uns dann nicht helfen.

Nicht wenige Menschen finden gerade nach schweren Schicksalsschlägen zurück zur Religion. “Not lehrt Beten”- sagt eine Volksweisheit. Diese Weisheit gilt zwar für viele, aber nicht für alle Menschen:  Denn Beten heißt, sich um Hilfe an einen Gott  wenden, der zumindest in den monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) fast immer mit der Vorstellung verbunden ist, daß dieser allmächtig und allgütig sei. Wenn dieser Gott tatsächlich allmächtig und allgütig ist, warum läßt er das furchtbare Leid von Mensch und Tier zu?  Vor allem Menschen, die auf diese zentrale Frage keine überzeugende Antwort finden, wenden sich von den monotheistischen Religionen ab und suchen Trost zum Beispiel in östlichen Weisheitslehren oder auch in der Philosophie Schopenhauers.

Warum ausgerechnet Schopenhauer, wo doch bekannt ist, daß dessen Philosophie durch und durch Pessimismus sein soll?  Ist es nicht absurd, Trost und Ermutigung bei einem Philosophen zu suchen, der wie kein anderer in der Philosophiegeschichte als der Pessimist schlechthin gilt? Und dennoch: Es ist eine Tatsache, die sich durch zahlreiche Zeugnisse belegen läßt, daß immer wieder Menschen durch Schopenhauers Lebensphilosophie unendlich viel Trost und Ermutigung gefunden haben.

Wie ist es möglich, daß gerade die angeblich so pessimistische Philosophie Schopenhauers dem verzweifelten Menschen so viel Lebenshilfe zu geben vermag?  Zunächst ist es die Wahrhaftigkeit, die das Leid in dieser Welt nicht beschönigt, sondern die Welt so sieht, wie sie ist. Aber dabei bleibt es nicht:  Schopenhauers Philosophie ist in ihrem Kern Mystik. Sie enthält, über- einstimmend mit den östlichen Weisheitslehren, die Erkenntnis, daß es einen Ausweg aus der Welt des Leides gibt. Gemeint ist hier nicht Selbstmord, sondern spirituelle Befreiung.

Schopenhauer wurde besonders durch seine leicht lesbaren und verständlichen  “Aphorismen zur Lebensweisheit” bekannt. Viele Menschen fanden dort Lebenshilfe. Seine eigentliche Philosophie in dem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung geht jedoch weit tiefer. In ihr ist - so Thomas Mann - “ein Wahrheitserlebnis... so annehmbar, so hieb- und stichfest, so richtig, wie ich es sonst in der Philosophie nicht gefunden habe... ich wage zu behaupten, daß die schopenhauersche Wahrheit, ... in der letzten Stunde standzuhalten, und zwar mühelos, ohne Denkanstrengung, ohne Worte standzuhalten geeignet ist.”

Wie sehr die eben zitierten Worte zutreffen, konnte ich selbst erleben:In unserem Kreis gab es einen jüngeren Mann, der aus dem ZEN-Buddhismus kam und sehr interessiert bei uns mitarbeitete. Eines Tages eröffnete er mir, daß er nicht weiter teilnehmen könne, weil er an einer unheilbaren Krankheit leide und  bald sterben würde. Im Angesicht des unmittelbar bevorstehenden Todes bat er mich, mit ihm  Schopenhauer zu lesen. Die Gespräche, die wir dabei  führten, bewegen mich, obwohl seitdem viele Jahre vergangen sind, auch heute noch tief. Einen Tag nach unserem letzten Schopenhauer-Gespräch verabschiedete er sich von meiner Frau und mir, und zwar völlig ruhig und gefaßt ...

Arthur Hübscher, der viele Jahre Präsident der Schopenhauer- Gesellschaft war und wie kaum ein anderer Leben und Werk Schopenhauers kannte, schloß seine  Lebenserinnerungen (Leben mit Schopenhauer) mit den Worten:  “Ich habe viele Menschen und viel unnützes Gepäck auf meiner Lebensreise zurückgelassen. Schopenhauer habe ich mitgenommen, er hat mich nie im Stich gelassen. Er wird auch da sein, wenn es an der Zeit ist, abzutreten.”  

Schopenhauers Philosophie erscheint vielleicht am Anfang durch und durch pessimistisch. Sie öffnet aber für den, der sich näher auf sie einläßt, den Blick auf das, was der Buddha das “Unvergängliche” nannte. So wird sie  gerade in schweren Stunden des Lebens zu einer Quelle voller Zuversicht.  

 

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