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Yogacara - / Vijnanavada - Buddhismus

Die "dritte Drehung des Rades"
 und die Philosophie Arthur Schopenhauers

Der Buddhismus ist keine starre dogmatische Glaubenslehre, sondern ist offen für geistige Fortentwicklungen.

Ausgehend von den fundamentalen Erkenntnissen des Buddha, der damit die erste Drehung des Rades (der Lehre) bewirkte, kam es einige Jahrhunderte nach Buddha,   vor allem durch  Nagarjuna, zu einer wesentlichen Weiterentwicklung der alten Lehre. Es bildete sich der Mahayana - Buddhismus heraus, was als zweite Drehung des Rades aufgefasst wurde. Danach war jedoch die Entwicklung des Buddhismus keineswegs am Ende, denn es entstand eine weitere sehr wichtige Richtung, die zum "Kern der tantrischen Weltanschaung" im Buddhismus ( Vajrayana ) wurde (1). Sie wird Yogacara  oder Vijnanavada genannt. Die erste Bezeichnung betont mehr den praktischen, die zweite mehr den philosophischen Aspekt derselben Schule.

Als Begründer dieser Schule gelten zwei aus einer Brahmanenfamilie stammende, zum Buddhismus bekehrte Brüder, nämlich Asanga undVasubandhu. Deren dritte Drehung des Rades der Lehre ist im Hinblick auf die Philosophie Arthur Schopenhauers von besonderem Interesse, denn wohl keine der bedeutenden buddhistischen  Schulen hat eine derartige Übereinstimmung mit Schopenhauers Lehre wie die der Yogacara bzw. des Vijnanavada. (2)

Yogacara heißt wörtlich die Praxis des Yoga, wogegen Vijnanavada als der Weg des Bewußtseins übersetzt werden kann. (3) Im alten Buddhismus war Vijnana, d. h. das Bewußtsein,    eine der fünf "Skandas", also eine der fünf Faktoren, die das, was allgemein als Persönlichkeit ange- sehen wird , konstituieren. Im Vijnanavada ist das Bewußtsein der entscheidende Faktor, wobei die  vier anderen Skandas nur Manifestationen von Vijnana sind. Jedoch bereits im alten Buddhismus hatte das Bewußtsein eine herausgehobene Bedeutung, wie aus dem buddhistischen Pali-Kanon ersichtlich ist:  “Das, was einer will, was er sich vornimmt, das wird zur Grundlage für das Fortbestehen des Bewußt- seins. Wenn das Bewußtsein fortbesteht und wächst, so kommt es zu einer Wiedergeburt...” (4)

Der Vijnanavada - (bzw. Yogacara -) Buddhismus folgerte daraus, dass das Bewußtsein über den individuellen Tod hinaus fortbesteht, indem es gleichsam in einem (metaphysischen) "Behälter" gespei- chert wird. Hierauf bezieht sich der für den Yogacara - Buddhismus zentrale Begriff  Alaya-Vijnana , was wörtlich Speicherbewußtsein heißt. Das Alaya-Vijnana dient als Speicher, der die Eindrücke der  Erfahrungen und karmischen Handlungen beinhaltet.

Der Alaya-Vijnana ist "das grundlegende Bewußtsein alles Existierenden ... , die Essenz der Welt,  aus der alles, was ist, entsteht. Es birgt die Erfahrun- gen der individuellen Leben und die Keime zu jedem geistigen Phänomen. Die Vorstellung des Alaya- Vijnana bildet die Grundlage für die ´Nur-Geist"-Doktrin` des Yogacara ... Dem zentralen Gedanken des Yogacara zufolge ist alles Wahrnehmbare nur Geist (reines Bewußtsein); die Dinge bestehen nur als Erkenntnisvorgänge, nicht als ´Objekte` ". (5)

Die Yogacara - (bzw. Vijnanavada -) Lehre gibtt eine Antwort auf die Frage, wie die buddhisti- sche Vorstellung vom Karma mit der für den Buddhismus zentralen Anatta  (= Nicht-Ich ) - Lehre zu vereinbaren ist. Diese Frage wurde schon in einem altbuddhistischen Text gestellt und beantwortet:  “Wie kann sich die Wiedergeburt vollziehen, ohne dass etwas (eine Seele) herüberwandert? Genau so  wie wenn man ein Licht an einem anderen anzündet, oder wie ein Vers, der vom Lehrer aufgesagt  wurde, von den Schülern nachgesprochen wird.” (6) Bei genauerem Nachdenken muss jedoch diese Antwort unbefriedigend erscheinen. Ohne die Annahme einer metaphysischen Verbindung - egal ob diese Alaya-Vijnana oder ( wie von Schopenhauer ) "Wille" genannt wird - ist eine Kontinuität über den individuellen Tod hinaus wohl nicht zu begründen.

Ausgehend von der Philosophie Kants, kam Schopenhauer zu der Erkenntnis, dass alles in  dieser Welt lediglich Erscheinungsformen eines einzigen (metaphysischen) Willens sind. Die Welt ist nur "Wille und Vorstellung". Schopenhauers Philosophie ist mit ihrem metaphysischen Kern eine monistische Erlösungslehre, die auf einem transzendentalen Idealismus (7) beruht. Auch hierin zeigt    sich eine tiefgehende Übereinstimmung mit dem Yogacara.

Andererseits hat der Buddhismus durch seine "dritte Drehung des Rades", also durch den Yogacara, eine monistische Philosophie herausgebildet, welche   im Ergebnis der  Tat Twam Asi -  Lehre der  Upanishaden nahe kommt. Von den Upanishaden sagte Arthur Schopenhauer, dass sie "der Trost meines Lebens gewesen" seien und "der meines Sterbens sein" würden. (8) Vielleicht hätte Schopenhauer das auch von der Lehre des Yogacara sagen können, aber leider war sie zu seiner Zeit  im Westen nicht oder nur kaum bekannt. Inzwischen haben jedoch die Anhänger der Philosophie Schopenhauers die Möglichkeit, sich mit dem Yogacara vertraut zu machen und dort die Gemeinsamkeiten mit Schopenhauers Auffassungen zu entdecken. Sie werden dabei im Yogacara auf eine Lehre stoßen, die  vielleicht die komplexeste und ausgefeilteste Philosophie (darstellt), die vom  indischen Buddhismus entwickelt wurde" (9).
 

Weiteres:
> Das Lankavatara-Sutra des Mahayana-Buddhismus


Anmerkungen:

(1)  Lama Anagarika Govinda, Grundlagen der tibetischen Mystik, Frankfurt a. M., 1975, S. 103.

(2) Im gleichen Sinne Bryan Maggee: "Perhaps the school of thought within Buddhism which is closest to Schopenhauer is Viijnanavada" (Bryan Maggee, The Philosophy of Schopenhauer, , revised edition, Oxford/New York 1997,S. 343.)

(3) S. zu den betr. Begriffen: Damien Keowin, Lexikon des Buddhismus, Düsseldorf 2003.

(4) Samyutta-Nikaya 12, 38; zit. n. Pfad zur Erleuchtung, übers. u. hrsg. von Helmuth von Glasenapp, Köln 1983, S.82.

(5) S. zu den betr. Begriffen: Lexikon der östlichen Weisheitslehren, Bern/München/Wien 1986.

     Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Erklärung von Maggee (a. a.O., S. 343), dass "Viijnanavada - which used to be translated as ´consciousness only` but now, interestingly enough,is more accurately translated as `representation only`."
Hierzu ist anzumerken,  dass Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung in der heute maßgebenden englischen Übersetzung von E. F. J. Payne lautet: The World as Will and  Representation. Somit wäre die Aussage, die Welt sei "consciousness only" wohl gleichbedeutend mit Schopenhauers Feststellung, die Welt ist für uns nur "Vorstellung".

(6)  Milindapanha, zit. n. Pfad zur Erleuchtung, a.a.O., S. 83.

(7) S. dazu Wörterbuch der philosophischen Begriffe, hrsg. v. Johannes Hoffmeister,  Hamburg 1955, S. 16.:" Im weitesten Sinne heißt ... Idealismus jede Philosophie, die in der Raumzeitwelt unserer Wahrnehmung nur eine Scheinwelt oder Erscheinung sieht, hinter der eine uns unerkennbare Welt-an-sich steht. ... Kant leugnet nicht die Existenz einer von uns unabhängigen Außenwelt-an-sich, aber sein kritischer oder transzendentaler Idealismusbestreitet, dass wir sie als solche erkennen können; wir kennen ´nur ihre Erscheinungen, d. i. die Vorstellungen, die in uns wirken, indem sie unsere Sinne affizieren`."

     Zum "Zusammenbestehn der empirischen Realität mit der transzendentalen Idealität" zitierte Schopenhauer aus einem Artikel über die altindische (demYogacara ähnliche) Vedantalehre: "Das Grunddogma der Vedantaschule bestand nicht im Ableugnen des Daseins der Materie, d. h. der Solidität, Undurchdringlichkeit und Ausdehnung (welche zu leugnen Wahnsinn wäre), sondern in der Berichtigung des gewöhnlichen Begriffs derselben, durch die Behauptung, dass sie kein von der erkennenden Auffassung unabhängiges Dasein habe; indem Dasein und Wahrnehmung Wechselbegriffe seien." (Arthur Schopenhauer, Werke in zehn Bänden, Band I: Die Welt als Wille und Vorstellung I, Zürich 1977, S. 30.)

(8)  Schopenhauer, a. a .O., Band IX: Parerga und Paralipomena II,  S. 437.

(9)  Damien Keowin, a. a. O.,  S. 301.

hb

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